Lasst Milch fließen


Nur ein einziges Nahrungsmittel dient ursprünglich und ausschließlich unserer Ernährung  – die Muttermilch. Sie ist evolutionär nicht nur für unseren Nährstoffbedarf, sondern auch für unseren immunologischen Schutz optimiert. Doch alles hat seine Zeit – der Schutz vor Krankheiten wirkt nur in den ersten Lebensmonaten und spätestens nach einem halben Jahr hat sich auch unser Nahrungsbedarf so gewandelt, dass er durch Muttermilch allein nicht mehr gedeckt werden kann. Es mangelt nicht nur an Kalorien, sondern auch an Inhaltsstoffen, wie Eisen, Vitamin C oder D. Und wenn gar die ersten Zähne kommen, ist ein wichtiger Schritt in Richtung Eigenständigkeit getan. Doch die Evolution hat uns mit solcher Vielfalt von Verdauungs- und Stoffwechselmöglichkeiten ausgestattet, dass wir aus einer breiten Nahrungspalette wählen können.

Gerade die Milch ist ein gutes Beispiel, dass das nicht selbstverständlich  ist. Milch enthält Laktose, einen Zucker, der aus den Bausteinen Glukose und Galaktose besteht. In eben diese Bausteine muss die Laktose im Darm durch das Enzym Laktase gespalten werden. Ungespalten kann sie durch den Darm nicht resorbiert werden, sehr wohl aber von den dort lebenden Bakterien. Das Ergebnis: Blähungen, Bauchschmerzen oder gar Übelkeit und Erbrechen. Solche Laktose-Unverträglichkeit ist in vielen Teilen der Erde – in Asien, Afrika und Südamerika – bei Erwachsenen der Normalfall, denn Mehrheit der Menschen bildet das Enzym nur in früher Kindheit.

Das galt auch für unsere jungsteinzeitlichen Urahnen, die vor etwa 10000 Jahren in Kleinasien das Rind domestizierten. Rohe Milch war ungenießbar für sie. Doch als ihre langen Wanderungen sie in das Gebiet des heutigen Ungarn führten, änderte sich das. Dort,  so zeigen es Genanalysen,  lebten schon vor etwa 7000 Jahren Menschen, die das Enzym lebenslang bildeten. Eine kleine Mutation in dem Bereich des Gens des Enzyms, das dessen Bildung reguliert, hatte diese Änderung bewirkt. Diese Mutation war zunächst bedeutungslos, doch zusammen mit dem Milchvieh ermöglichte sie plötzlich einen enormen Selektionsvorteil! Schnell, wie keine andere bekannte genetische Veränderung setzte sie sich in der Evolution durch! Die Ursache ist klar: Milch ist eine erstklassige Quelle für hochwertiges Protein, Kalzium und Vitamin A; wer diese nutzen konnte, hatte weit bessere Überlebenschancen – und mehr Kinder.

In Europa besitzen heute mehr als 70% der Menschen das veränderte Gen. Aber wie jedes Fremdprotein, ganz gleich, ob tierischen oder pflanzlichen Ursprungs, birgt natürlich auch das der Milch ein Allergiepotenzial. Etwa 1% Bevölkerung leidet an Milchallergie und muss deshalb Milch meiden. Doch diese ist von der Laktose-Unverträglichkeit zu unterscheiden, die meist durch Verzehr von laktosefreier Milch und Milchprodukten oder auch ergänzender Zufuhr des Enzyms zu umgehen ist.

Übrigens, schon in der Bibel gilt das  Land, in dem Milch und Honig fließen, als das ersehnte…


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