Einfach zu warm angezogen


Als Schwangere erspäht man gleichfalls Schwangere mit geschärftem Blick. Ein paar Jahrzehnte später ähnliches, bewirkt durch die Enkel. Plötzlich sieht man überall nette kleine Babys – und das ist in Berlin nicht anders als in Boston.

Doch eine Frage lässt mich nicht los: Sollten bostonische Eltern bessere biochemische Instinkte haben, als jene in Berlin? Es ist auffällig – bostonischer Nachwuchs ist den Temperaturen meist angemessen bekleidet. In Berlin dagegen dauern mich häufig die vermummten Babys, denen, bei durchaus vergleichbaren Bedingungen, trotz  Hitze selbst im Wohnraum das Wollmützchen nicht abgenommen wird. Gut gemeint, sicherlich, leider aus gesundheitlicher Sicht nicht unbedenklich.

Die Evolution hat Neugeborene bestens gegen Unterkühlung gewappnet. Ohne Fell und oft in Kälte hätte unsere Spezies sonst wohl kaum eine Überlebenschance gehabt. Säuglinge besitzen in den ersten Lebensmonaten neben dem gewöhnlichen weißen Fett zusätzlich braunes Fettgewebe. Dessen Hauptaufgabe ist es, Energie als Wärme freizusetzen. Dadurch wird die Körpertemperatur aufrechterhalten.

Im Unterschied dazu ist der Schutz gegen Überhitzung unglaublich schlecht! Generell geben wir überschüssige Wärme durch Schwitzen ab. Das funktioniert gut, weil Verdunstung von Wassermolekülen über die Haut viel Energie verbraucht und so kann  überschüssige Wärme abgeführt werden. Das gilt in jeder Lebensphase. Aber es gibt gewichtige altersabhängige Unterschiede! Der Säugling besitzt, da er so klein ist, viel weniger  Wasser und damit weniger Reserven.  Außerdem hat er, bezogen auf seinem Körper, eine größere, durch die Haut gebildete Oberfläche als ein Erwachsener. Das bedeutet erhöhten Wasserverlust.

Und das ist noch nicht alles. Schon das Kleinkind vermag etwas, was dem Säugling noch nicht gegeben ist: Um dem gefährlichen  Wasserverlust entgegenzuwirken, wird beim Schwitzen die Flüssigkeitsausscheidung über die Niere verringert. Das Harnvolumen wird reduziert, es wird ein konzentrierter Harn ausgeschieden. Und genau das kann der Säugling noch nicht. Es fehlt ihm das antidiuretische Hormon, (ADH auch Vasopressin genannt), das die Harnkonzentrierung ermöglicht. Dieses Hormon wird erst etwa vom ersten Lebensjahr an entsprechend dem Bedarf produziert. Aus all diesen Gründen kann der Wasserverlust beim Säugling schnell beträchtlich werden.

Unbehaglichkeit signalisierendes Schreien ist noch die mildeste Folge – wenn man davon absieht, dass das den Wasserverlust weiter erhöht. Fieber, Eindickung des Blutes,  Krämpfe drohen, im Extremfall sogar lebensbedrohliche Austrocknung. Und das alles aus missverstandener Fürsorglichkeit!

 

Was kann man tun? Nun, ganz einfach – indem man  den Säugling so kleidet, wie man es für sich selbst für angenehm hält, liegt man gewiss richtig. Und wenn man dann bei heißem Wetter  ausreichend zu trinken gibt, kann gar nichts passieren.


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